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5 Trends für Leadership und HR im digitalen Zeitalter

Eine Studie des Management Echos (3-2017 ‚Zeit für Führung‘) ergab, dass über 1/3 der Führungskräfte falsch in ihrer Position sind. Ein Phänomen, dass sich schon Jahrzehnte hält, nur der Unterschied ist, dass die Geführten zunehmend andere Erwartungen an ihre Bosse haben. Somit ist diese Zahl als eher dramatisch einzustufen. Zahlreiche Studien, nicht nur im Rahmen des Management Echos, bestätigen auch, dass die heutige und zukünftige Generation anders geführt werden will.

Hierarchische Organisationen, v.a. in öffentlichen, staatsnahen, monopolartigen Kontexten, werden die traditionelle Sichtweise von Führung erhalten können. Für Organisationen, die sich schnell an Veränderungen in Umwelt, Technologie, Services, Kundenerwartungen, Gesellschaftstrends, etc. anpassen müssen, warten ganz andere Herausforderungen. Und gerade im Fitmachen für solche Herausforderungen sind im Wesentlichen 2 Kerngruppen besonders gefragt: Führungskräfte und HR-Verantwortliche:

Die Trends der Zukunft sind …

  1. Perfekte Prozesse, Produkte, Strategien, sollten heute bereits Standard – und in Zukunft noch mehr – sein. Die besondere Herausforderung, um z.B. im ‚War for Talents’ zu gewinnen, ist Unternehmenskultur. Am schwierigsten zu entwickeln (zu verändern) und am schwierigsten (von Mitbewerbern) zu kopieren. Wirkliche Alleinstellungsmerkmale sind gerade hier noch möglich. So krieg ich in jeder Bank dieselben Produkte mit denselben Zinsspannen. Die wichtigsten Geschäftsprozesse sind überall gleich schnell bzw. stabil. Sowohl im B2B als auch im B2C Bereich gehe ich dort hin, wo ich mich wohl fühle, ich als Kunde wahrgenommen werde und eine nachhaltige Beziehung aufbauen kann. Ich erwarte mir Verlässlichkeit, Vertrauen und Support, auch in schwierigen Situationen. Und, was ich als Kunde oft nicht mehr hören kann, ist die Argumentation mit Gesetzen, Vorschriften und ISO-Normen.
  2. Investments in digitale Hard Facts versus Soft Facts: Bis zu einem gewissen Grad muss jede Organisation morgen die perfekte Balance zwischen Online-Angeboten (sowohl auf der Lieferanten- als auch auf der Kundenseite) und einer Art verlässlicher Ethik oder Unternehmenskultur finden. Viel zu viel Geld wird in Technologie (z.b. IT) investiert, viel zu wenig in Skills, Mind-sets und Kultur. Digitalisierung bedeutet bessere IT-Lösungen und innovative Geschäftsmodelle. Das wird vor allem von den nun zunehmend implementierten Chief Digital Officers proklamiert. Ein aktuelles Management Echo (Ende 2019) bestätigt u.a. klar, dass der Impact von Investments in digitale & kulturelle Skills viel höher ist als in Technik zu investieren. Fragen Sie sich als Führungskraft oder HR-Verantwortliches selber, ob bei der Auswahl von Mitarbeitern …
    a) unterschieden wird, zwischen technologischen Skills (Fähigkeiten wie das Aufbauen und Einrichten von Computer, Druckern, Scannern, Netzwerken, Software, etc.) und digitalen Skills (Fähigkeiten und Verhalten während der Nutzung digitaler Services) und
    b) ob Ihre Personalentwicklungsprogramme schon auf die digitalen Herausforderungen vorbereitet sind?
  3. HR Abteilungen müssen sich weg entwickeln von rein administrativen Units hin zu Gestaltern der ‚Human Resources‘. Ein häufig anzutreffendes Problem ist, dass HR-Verantwortliche weder zu neuen Technologien (IT-gestützte Feedback- und Collaboration Tools) noch zur ‚Denke‘ der jungen Generationen (Digital Natives) kompatibel sind. Oft sitzen ‚gstandene‘ Juristen an den Schalthebeln von HR. Sie stehen vor einem Scheideweg. Entweder sie entwickeln sich zusätzlich in Richtung ‚Organisationsentwicklung‘ (und somit Steuerung und Begleitung von Transformationsprozessen) oder sie reduzieren ihr Selbstverständnis in reine Personalverwalter. Die Erwartungen der morgigen Generation werden bzw. sind, sagen wir, schon fundamental anders als früher. ‚Mein Chef soll mich motivieren und dabei in Ruhe lassen’ als Motto vieler Talente. So sind Freiräume, in denen Verantwortung und Kreativität übernommen werden kann, sind zu schaffen. Und somit kommen wir zu einem weiteren zentralen Thema und das ist Führung.
  4. Es braucht resonanzfähige Leader, die in der Lage sind, Bedingungen zu schaffen beziehungsweise zu unterstützen, unter denen Mitarbeiter gern ihre Leistung erbringen, dem Unternehmen ihre Wahrnehmungen zur Verfügung stellen, sich sensibel und empathisch für den Blickwinkel anderer und deren Wahrnehmung interessieren und somit offen und engagiert mit Veränderungen umgehen und eine lernfähige Organisation unterstützen (Schließmann 2014). Die Aufgabe von Führungskräften wird es künftig nicht mehr sein, heroisch den Kurs vorzugeben, sondern Widersprüche und Spannungen in der Organisation wahrzunehmen. Immer mehr gilt es also, eine Balance herzustellen: zwischen Nähe und Distanz, zwischen Einzigartigkeit und Zugehörigkeit, zwischen Sicherheit und Freiheit. Laut Management Echo 3-2017 haben Führungskräfte den eindeutig größten Entwicklungsbedarf, wenn es darum geht, Veränderungsprozesse zu gestalten, oder wenn es darum geht, Mut zur Veränderung zu zeigen. Aus Sicht der 316 befragten Personen sind sogar ein Drittel der Führungskräfte am falschen Platz (als Führungskraft) eingesetzt. Geforderte Qualitäten der Führungskräfte der Zukunft sind Mut zur Veränderung, emotionale Intelligenz und der Fokus auf Wesentliches.
  5. All das bedingt selbstverständlich auch andere Organisationsformen. Holacracy ist zu extrem, da es doch ein sehr starkes ‚bottom-up-mind-set‘ verlangt. Sozusagen die hierarchielose Organisation, in der Rollen je nach Bedarf von jedem eingenommen werden können. Diejenigen, die sich befähigt fühlen, übernehmen (temporär) die Verantwortung und geben sie situativ wieder ab. Das Konzept der ‚Shared Leadership Roles’ ist nicht mehr ganz neu und auch nicht ganz so ‚scharf‘ (wie Holacracy), kommt aber sowohl vielen ‚Verantwortungssuchenden’ als auch ‚Managementboards’ entgegen. Das hat zur Folge, nicht mehr in (funktionalen) Silos sondern in kundenorientierten Geschäftsprozessen zu denken und die Strukturen danach auszurichten. Laterale Teamarbeit (über vertikale Funktionen hinweg) ist gefragt. Soziokratie 3.0 …

NAUGHTON nennt es Digital Literacy, welche mehr beinhaltet als nur technologische Skills. Im digitalen Umfeld müssen Individuen zahlreiche kognitive, emotionale und soziale Kompetenzen erlernen, um Informationen adäquat zu verarbeiten. Aus den 3 Grundkomponenten ‚Wissen entwickeln‘, ‚Sicherheit aufbauen‘ und ‚Aufmerksamkeit erzeugen‘ (auch Meta-Kompetenzen genannt) resultieren 6 praxisrelevante Facetten:

    • Photo-Visual Literacy (Kunst des visuellen Denkens)
    • Reproduction Literacy (Kunst des Remix-Denkens)
    • Branching Literacy (Kunst des verzweigten Denkens)
    • Information Literacy (Kunst des skeptischen Denkens)
    • Socio-emotional Literacy (Kunst des sozio-emotionalen Denkens)
    • Real-Time Thinking (Die Kunst des Echtzeit-Denkens)

Conclusio

‚Autorität in Organisationen wird künftig weder untergraben noch vollständig aufgelöst. Aber im digitalen Kontext wandelt sie sich stark: Sie exploriert kritisch und kollaborativ, was sich zu wissen lohnt. Sie platziert konstruktive und originäre Sichtweisen, die sozial validiert werden. Und sie nutzt die Erkenntnisse nicht nur für das eigene Fortkommen, sondern glaubt an den Mehrwert des Teilens ‚eigener‘ Informationen‘, so Florian Kondert.

Klingt doch schön und positiv! Als Organisationsentwickler und Change Consultant sehe ich sehr großen Herausforderungen an adäquate Unternehmenskulturen. Die hierarchische Autorität muss sich hin zu einer Rolle des wohlwollenden Gastgebers wandeln. Die Kontrolle über den Informationsfluss ist zurückzustellen und gefragt ist mehr Fokus auf strategische Fragen (‚Purpose‘ vermitteln), mehr Transparenz und agiles Organisationsdesign.

Literatur:

    • Naughton, Carl: ‚Cyber Humanismus – Digitale Ermächtigung‘ und ‚Write, Speak, Code‘
    • Kondert, Florian: ‚Wissens-Navigation: Fluides Wissen nutzbar machen‘

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Agilität | Was ist daran schon neu?

Kurzgefasst ist Agilität die Fähigkeit eines Unternehmens sich kontinuierlich an seine komplexe, turbulente und unsichere Umwelt anzupassen. Stimmt. Was ist daran aber wirklich neu? Ist es nicht so, dass wieder einmal einige Berater und Managementforscher einen Hype zur Entwicklung neuer Märkte geschaffen haben?

Es ist unbestritten, dass eine erfolgreiche Organisation die Fähigkeit entwickeln muss, Veränderungen möglichst rechtzeitig zu antizipieren, selbst innovativ und ständig veränderungsbereit zu sein, permanent als Organisation zu lernen und dieses Wissen allen relevanten Personen zur Verfügung zu stellen. Haben dies nicht auch schon Peter Drucker (‚The End of Economic Man‘, 1939!), Hammer/Champy (‚Reengineering the Corporation‘, 1993), John Kotter (‘Abschied vom Erbsenzähler‘, 1993) & Co vor Jahrzehnten gesagt?

Ich selber predige seit über 20 Jahren, dass Prozessdenken und kundenfokussierte Organisationsmodelle keine Managementmode sind, die kommt und wieder vergeht. Der Ansatz ist ganzheitlich und impliziert sowohl Strategie, Struktur als auch – last but not at all least – die Kultur des Unternehmens. Bei Struktur und Kultur beginnt das Problem vieler Firmen schon richtig virulent zu werden. Meilenweit sind sie von einer agilen Organisation entfernt. Funktionale Silos oder hierarchisch ausgerichtet Spartenorganisationen sind nach wie vor Standard. Das Motiv dahinter ist leicht zu durchschauen: Solche Gebilde sind leichter steuerbar.

Selbstverständlich sorgt eine klare Hierarchie mit soliden Säulen (Funktionen, Business Units, etc.) für Stabilität und Verlässlichkeit. Erfolgreiche Unternehmen brauchen beides. Lateral wirkende Prozesse sowie vertikal stabil ausgerichtete Funktionen oder Geschäftseinheiten. Nun wird überall Agilität gepredigt. Meine These ist, dass dies erstens nichts Neues ist und dass sich zweitens viele Unternehmen sehr schwer damit tun. Warum?

  • Das Top-Management fordert mantramäßig: ‚Wir brauchen unternehmerisch denkende und handelnde Mitarbeiter‘. Theoretisch, schön und gut. Praktisch würde dies beim Management ein ‚Loslassen‘ sowie ‚Vertrauen‘ bedeuten.
  • Weiters müssen die ‚Wunsch-Intrapreneure‘ auch handeln dürfen und am Erfolg auch partizipieren. Das ist noch immer für viele, vor allem traditionell geführten Unternehmen, schwer vorstellbar.
  • Agilität fordert vor allem Dezentralisierung sowie Transparenz. Auch braucht es viel Mut, nicht mehr alles linear (nach Wasserfallprinzip) planen zu können. Ein vollkommen anderes Paradigma, aber keinesfalls neu.

Christian Freilinger und Norbert Klis schrieben bereits im Jahr 1994 (!) in ihrem Buch ‚Organisation 2000‘ von Voraussetzungen erfolgreicher Unternehmen (gekürzt von 10 auf 8, Original siehe S. 97):

  1. Flache Hierarchien.
  2. Business Unit Organisation sowie Verlagerung der Verantwortung für das operative Geschäft dorthin.
  3. Weg von kostenintensiven Stäben hin zu mehr Projektorganisation.
  4. Teilautonome und selbststeuernde Gruppen vor allem in operativen Bereichen.
  5. Realisieren von (kunden-)prozessorientierten Strukturen.
  6. Stärkung der Mitarbeiter mit direkten Kundenkontakt.
  7. Krisen als Chance sehen, um verkrustete Strukturen aufzubrechen. Mitarbeiter wissen sehr genau, was nicht funktioniert und sind daher in Change Prozesse miteinzubeziehen.
  8. ‚Panta rhei‘ (alles fließt nach Heraklit): Kontinuierliche Prüfung und Verbesserung aller Strukturen sowie Aufgeschlossenheit für notwendige Veränderungen.

Was es jedenfalls braucht – mehr als in den 90er Jahren – ist ein ‚digital mind change‘. Vor allem Führungskräfte sind gefordert, sich mit professionellen Anwendungen zum einen im Bereich ‚IT-Collaboration‘ und zum anderen mit interaktiven und online-basierten Real Time & Open Feedback Systemen auseinander zu setzen.

Auch VUCA*) hat es schon immer gegeben. Es dreht sich alles nur etwas schneller und intensiver. Wenn ich gelernt habe, Veränderungen zu managen, kann ich VUCA mit einem agilen Mindset (problemlos) bewältigen.

Conclusio

  • Die Forderung, agil zu sein, gibt es schon sehr lange.
  • Agilität ist primär eine Haltung, erst dann eine Technik bzw. Methode.
  • Agilität hat mit Urvertrauen (in sich selbst) und Vertrauen in die zu führenden Menschen zu tun (die noch dazu immer kritischer und selbstbewusster werden).
  • Grundvoraussetzung dazu ist (Selbst-)Vertrauen in eine prozesshafte (iterative) Entwicklung von etwas Neuem bzw. Unbekanntem.
  • Stabilität zu schaffen, liegt in der Natur des Menschen. In einer Komfortzone lebt es sich angenehmer. Agilität entspricht nicht der Natur vieler: Wie viele Menschen kennen Sie, die Leidenschaft für Neues, für Veränderungen und Mut zum Risiko zeigen?
  • Es braucht nicht überall Agilität: Denn Stabilität in den Hauptprozessen eines Unternehmens ist der zentrale Erfolgsfaktor. Da spielen sich 80% der Wertschöpfung ab.
    Ehrlich gesagt, braucht es da nur zum Mitdenken motivierte Mitarbeiter (i.S.v. KVP) und somit Agilität in überschaubarem Ausmaß.

Und zum Abschluss bin ich nochmals ketzerisch: Agilität & Hausverstand gehören eng zusammen. Viele Unternehmen wollen bzw. brauchen das alles gar nicht. Agilität führt häufig zu Fragilität, die somit oft im Widerspruch zu notwendiger Stabilität steht.

Die Aussagen des ‚Agilen Manifestes‘ siehe unter http://agilemanifesto.org/iso/de/principles.html)

*) VUCA: Volatility – Uncertainty – Complexity – Ambiguity